Fünf Jahre als Pastorenfamilie in Fürstenwalde an der Spree, 1947 – 1953 – Siegfried Weinert

Fünf Jahre als Pastorenfamilie in Fürstenwalde an der Spree, 1947 – 1953 – Siegfried Weinert

Einleitung: Lebensüberblick vor Ende 1947 – Zunächst einen kurzen Überblick über das Leben meiner Eltern, wohinein ihre Zeit in Fürstenwalde gedacht werden muss.

Papa, Johannes Paul Wilhelm Weinert, wurde am 18. Juli 1911 in Sagan im damaligen Schlesien als erstes von zwei Kindern eines Stadtingenieurs geboren.
Er empfing seine Ausbildung als Missionar am Seminar der Ev.-Luth. Mission zu Leipzig von 1928 bis 1936, wurde 1934 in Mecklenburg ordiniert und 1936 ausgesandt, ursprünglich nach Ostafrika, aber während der Hinfahrt umbeordert nach Indien, wo er am 1. März 1936 ankam. Nach zweijährigem Erlernen der in Südindien vorherrschenden Sprache, Tamulisch, übernahm er Anfang 1938 die Verwaltung der Missionsstation Shiyali etwa 200 km südlich von Madras (jetzt Chenna).

Mama, Anne Marie-Luise geb. Härtel, kam am 19. August 1911 als viertes von 8 Kindern eines Bauernehepaars in Fraustadt ebenfalls in Schlesien zur Welt. Sie nahm vor ihrer Reise nach Indien an Krankenpflege-, Tropenkrankheiten- und Englischkursen teil, die ihr neben ihren Erfahrungen auf dem Bauernhof und im Grossfamilienhaushalt später sehr zustatten kamen. Die Hochzeit fand praktisch am Tage ihrer Ankunft in Indien, am 1. März 1938, statt. Am 25. Dezember 1938 kam ich in einem Entbindungsheim in Madras zur Welt.

Am 1. September 1939 marschierte Deutschland in Polen ein und erklärte England Deutschland den Krieg, und am 3. September wurde Papa mit allen deutchen Männern, die sich im britischen Empirium befanden, in die Internierung abgeführt, Papa nach Ahmednagar im Norden Indiens. 1940 wurden die Familien vereinigt. Die Missionarsfamilien aus Südindien kamen erst ins Lager nach Kodaikanal südwestlich von Nadras, wo meine Schwester Dorothea (Dorle) geboren wurde, und dann nach Yeacaud westlich von Madras, wo Friedhelm zur Welt kam, und dann 3 Jahre nach Satara südlich von Poona bzw. Bombay. Im nahegelegenen Missionshospital, Wai, kamen 1943 ein im Kindbett gestorbenes Kind, Paul-Gerhard, und 1944 mein jüngster Bruder, Helmut, zur Welt.
Ende 1946, mehr als anderthalb Jahre nach Kriegsende, endete unsere Interierung. Wir wurden repatriiert. Am 5.Januar 1947 inmitten eines eiskalten Winters kamen wir per Schiff im total zerbombten Hamburger Hafen an, und wurden gleich ins Auffanglager Neuengamme überführt. Von hier aus ging es ins Diakonissenheim in Kaiserswerth, wo wir für etwa 8 Monate überaus freundliche Aufnahme fanden. Da erreichte Papa die Nachricht von einer vakant gewordenen Pfarrstelle in Fürstenwalde an der Spree. Um diese bewarb er sich und bekam sie in kürzester Zeit zugestanden.
Dann folgten die fünf Jahre, über die im Folgenden etwas näher berichtet werden soll.

Fürstenwalde an der Spree, 1947 – 1953

Wir kamen am 15. September 1947 in Fürstenwalde an und verließen es am 10. Februar 1953. Papa diente somit der Gemeinde als Pastor ziemlich genau 5 Jahre. Ich war knapp 9 bis gerade über 14 Jahre alt.

Von der Bahnfahrt von Kaiserswerth nach Fürstenwalde erinnere ich mich deutlich an die Pass- und Gepäckskontrolle am Interzonengrenzüber-gang Helmstedt, wo wir Kinder allein im Kupee warten mussten, während die Eltern zur Durchsuchung abgeführt wurden.

Unser Verbleib in Fürstenwalde stand unter dem Zeichen der Nachkriegsjahre. Es gab keine gefestigte Gemeinde. Es gab viele aus dem Osten Vertriebene, viele Kriegswitwen und –waise, Söhne und Ehemänner, die verschollen waren. Es war die Zeit der allgemeinen Knappheiten und Lebensmittelkarten. Dazu hatte die übriggebliebene Gemeinde gerade ihren Seelsorger, Pastor Naumann, zu Grabe tragen müssen.

Es war ein düstere Herbsttag, als wir am Fürstenwalder Bahnhof ankamen. Wir stapften jeder mit seinem Gepäck am verlassenen Park entlang, dann nach links in die Dr. Wilhelm Külz Strasse, bis Ecke Spreestrasse, wo uns ein backsteinernes Kirchenschiff mit angebautem Pfarrhaus erwartete. Frau Pastor Naumann, noch in Trauertracht, ließ uns ein.

Kirche und Pfarrhaus waren wohl erhalten wie eigentlich das ganze, zum großen Teil von der Besatzungsmacht beschlagnahmte umliegende Wohnviertel. So waren die Straßenfluchten hinter, links und rechts von der Kirche beschlagnahmtes Gebiet, und als solches mit allerhand bunten, vorwiegend blutroten, und gelb mit Sternen, Hammern und Sicheln bespickten Transparenten gekennzeichnet. Gegenüber befand sich der Heldenacker der Befreiungs- bzw. Besatzungsmacht. Es war ein dafür beschlagnahmtes Teil des historischen Denkmahlplatzes. Zerstört war in Fürstenwalde vor allem die Mittelstadt einschließlich des großen evangelischen Doms. Wir sind viel in Ruinen gerumgestrolcht, aber in der Ruine des Domes war mir immer sehr beklommen zu Mute. In der nächsten Ausgabe geht‟s weiter ….